Frau Bienert, obgleich der Muttertag auf die US-amerikanische Frauenrechtlerin Ann Maria Reeves zurückgehen soll, wirkt das Frauen- und Mutterbild, das sich mit ihm verbindet, aus Sicht vieler heutiger Feministinnen reichlich antiquiert. Gehört der Muttertag in die Mottenkiste?
Bienert: Problematisch finde ich die traditionelle Version des Muttertags vor allem, weil sie letztlich eher unsichtbar macht, was Mütter leisten, auch in welcher Vielfalt sie dies tun – und das oftmals alleine. Wenn der Muttertag hingegen stärker dazu anregen würde, in der Breite wahrzunehmen und anzuerkennen, worin die Leistungen von Müttern bestehen, wäre die Kritik hinfällig. Diese Wahrnehmung und Anerkennung könnte sich etwa konkretisieren im Einsatz für bessere Regelungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf und mehr Anerkennung für Care-Arbeit, für besser finanzierte Geburtshilfe und eine effektivere Unterstützung für alleinerziehende Mütter. Einen wichtigen Punkt möchte ich von der Kritik ausnehmen: Wenn Kinder ihren Müttern anlässlich des Muttertags eine Freude machen möchten, ist dagegen natürlich überhaupt nichts einzuwenden.
Maria, die keusche, duldsame Gottesmutter, ist zumindest in der katholischen Kirche bis heute ein Urbild des Weiblichen. Inwieweit hat das einen bestimmten „Mutterkult“ geprägt?
Bienert: Vom biblischen Befund ausgehend muss man nicht bei dieser Vorstellung einer passiven Maria landen. Weiblichkeit und Mütterlichkeit finden zum Beispiel in dem „Loblied der Maria“ eine andere Verknüpfung: Da wird eine junge Frau vorgestellt, die ihren Gott an der Seite der Unterdrückten, Armen und Schwachen weiß und die von sozialen Umstürzen singt. Diese Beobachtungen werden und wurden auch prominent in feministischen Theologien vorgetragen, die in breiten Teilen ökumenisch geprägt sind. Und zu heutigen Aspekten: Wenn Frauen auf ihre Mutterrolle reduziert werden oder im Muttersein von außen her die Bestimmung von Frauen gesehen wird, ist das hochproblematisch.
Martin Luther hat sich – wie vermutlich die meisten Männer vor 500 Jahren – nicht allzu wertschätzend über Frauen geäußert. Überliefert sind Aussprüche wie „Die größte Ehre, die das Weib hat, ist allzumal, dass die Männer durch sie geboren werden“ oder dass Frauen zur Häuslichkeit bestimmt sind, weil sie einen „breiten Podex und weite Hüften haben, dass sie sollen stille sitzen“. War Luther ein Chauvi – und wirkt das bis heute in der evangelischen Kirche nach?
Bienert: Ich denke, es ist zum einen wichtig, sich klarzumachen, dass auch das evangelische Christentum viel patriarchales Denken in sich trägt. Das lässt sich nicht nur an Luther festmachen. Ich würde auch nicht erwarten, dass ein Denker des 16. Jahrhunderts modernen Ansichten entspricht. Entscheidend ist ohnehin vielmehr unser Umgang mit diesen Quellen und was wir aus ihnen lernen wollen. Aus welchen theologischen Gründen können wir patriarchialen Komponenten der christlichen Tradition widersprechen? Das kann übrigens auch heißen, Luther gewissermaßen gegen Luther zu lesen. Paradoxerweise ließe sich nämlich gerade der in Luthers Werk entfaltete Sinn für Emanzipation aller Christenmenschen gegen Luther selbst lesen, zum Beispiel ausgehend von seinem Freiheitsbegriff.
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